Im Interview: Christian Schimper hat Lebensmittel- und Biotechnologie in Wien studiert und dort und an der Universität Innsbruck eine umweltverträgliche Methode für das Bleichen von Jeans entwickelt. 2014 gründete er das Spin-Off Acticell, das in Tulln angesiedelt ist. Er will umweltfreundlichere Lösungen für die vier Milliarden Jeans finden, die jährlich hergestellt werden.
- Name: Acticell
- Gründungsjahr: 2014
- Adressiert das Problem: Wasserverbrauch, toxische Chemikalien und Gesundheitsrisiken für Arbeiter:innen beim Bleichen von Jeans
- Ihre Lösung: Automatisierung des Bleichprozesses durch Verbesserung von umweltkompatiblen Laser- und Ozontechnologien
- Website: http://www.acticell.at/
Welches Problem will Acticell lösen?
Schimper: Die Textilbranche ist eine Industrie, in der sehr viel manuelle Arbeit geleistet wird und sehr viel Chemikalien zum Einsatz kommen. Die aktuelle Entwicklung wird vor allem von zwei Faktoren getrieben: Zum einen vom Nachhaltigkeitsgedanken, der nicht nur immer stärker von Kund:innen nachgefragt, sondern auch durch den Gesetzgeber forciert wird. So hat etwa die European Chemical Agency 2018 den Stoff Kaliumpermanganat, der zum Bleichen von Jeans angewendet wird, als viel gefährlicher eingestuft. Dieser Stoff könne das Kind im Mutterleib schädigen, hieß es. Dadurch ist ein großer Druck in der Industrie entstanden. Kaliumpermanganat hat um 2010 das Sandstrahlverfahren abgelöst, da hier die Gefahr bestand, dass Arbeiter:innen eine Staublunge bekommen.
Das zweite große Thema neben dem Nachhaltigkeitsgedanken ist der Kostenfaktor. Der größte Kostentreiber in der Textilindustrie ist menschliche Arbeit. Eine Stunde Arbeit kostet in den USA 14 Dollar, in Mexiko und der Türkei 2,5 Dollar und in Bangladesch gerade einmal 0,25 Dollar. Das ist der Grund, warum alle arbeitsintensiven Schritte ausgelagert wurden. In diesen Ländern gelten zudem andere, niedrigere ökologische Standards.
Und wie will Acticell dieses Problem lösen?
Schimper: Wir haben erkannt, dass Unternehmer freiwillig auf umweltfreundlichere Lösungen umsteigen, wenn sich dadurch für sie ein Kostenvorteil ergibt. Bei den großen Brands wie Levis, Lee, GAP oder Wrangler geht es um Einsparungen von ein bis zwei Cent pro Jeans. Wenn man bedenkt, dass jährlich weltweit rund vier Milliarden Jeans produziert werden, und diese Brands einen großen Marktanteil haben, ist das aber auch schon wieder eine beachtliche Summe. Kaliumpermanganat ist sehr billig und sehr wirksam. Der Anreiz, auf umweltfreundlichere Prozesse zu setzen, war noch nicht groß genug.
Wir mussten also die Antwort auf folgende Frage finden: “Wie kann ich mit einem umweltfreundlichen Verfahren eine Chemikalie ersetzen, die so günstig und effizient ist?”. Unser Ansatz: Wir müssen weg von manuellen Prozessen. Beim Bleichen von Jeans liegt die Zukunft in der Laser- und Ozontechnologie. Wir haben uns auf diese zwei Technologien spezialisiert und wollen die mit unseren umweltfreundlichen Lösungen verbessern.
Was ist dabei momentan die größte Herausforderung?
Schimper: Laserbehandelte Hosen schauen oft unnatürlich aus und das Farbergebnis nach einer Ozonbehandlung ist graustichig.
Wem soll eure Lösung helfen?
Schimper: Mittels Laser- und Ozontechnologie schaffen wir es, den gesamten Bleichprozess weg vom Menschen zu bringen. Die Produkte, die wir verwenden, um diese Verfahren effizienter zu machen, belasten die Umwelt nicht. Ozon ist zwar ein giftiges Gas, wird aber in einer geschlossenen Maschine verwendet und dann wieder neutralisiert. Es bleibt lediglich Wasser übrig. Zudem sparen wir enorm viel Wasser. Für eine Jeans braucht man im herkömmlichen Produktionsprozess an die 100 Liter Wasser, der Wasserverbrauch mit unseren Technologien liegt bei lediglich neun bis zehn Litern. In der Lasertechnologie kooperieren wir etwa mit dem pakistanischen Unternehmen Naveena Denim.
Lasern spart Zeit und somit Geld – wir rechnen mit Kosten in der Höhe von rund einem Euro pro Minute, was einer Einsparung um 25 Cent im Vergleich zum herkömmlichen Bleichprozess mit Permanganat gleichkommt. Die Chemikalien, die beim Laserschritt zum Einsatz kommen – sogenannte “Digitalizer” -, sind natürliche Inhaltsstoffe, es werden ausschließlich Mischungen verwendet, die nicht unter die Kennzeichnungspflicht fallen. In der Ozontechnologie kooperieren wir mit der Firma spanischen Firma Jeanlogia – einem Hersteller mit einer sehr hohen Marktdurchdringung.
Was möchte Acticell in fünf Jahren erreicht haben?
Schimper: Ich möchte, dass diese zwei Prozesse Industriestandard werden und dass in fünf Jahren ein Großteil der produzierten Hosen mit Laser oder Ozon gebleicht wird. Unser Ziel ist es auch, den Strickwarenmarkt zu erschließen, das Potenzial ist sehr groß. Hier könnte unser Impact noch viel signifikanter sein.
Expert:innenmeinung
Herr Prof. Rosenau, wo sehen Sie das Potenzial dieser Idee? Kann das funktionieren?
Das Grundproblem ist ganz einfach: Die Textilindustrie ist eines der größten Umweltschweine. Daher ist es natürlich grundsätzlich zu begrüßen, wenn Unternehmen grüne Prinzipien einbringen und verteidigen. Hinzu kommt: Ähnlich wie die Papier- und Zellstoffindustrie ist die Textilbranche extrem konservativ und schwerfällig. Wie ein Hochseetanker, den man nicht einfach so in eine andere Richtung lenken kann. Kleine wendige Boote wie Acticell haben großes Potenzial, etwas zu bewegen. Chemische, aber umweltverträgliche Bleiche mit Lasertechnologie zu kombinieren, halte ich für eine sehr gute Idee. Jetzt ist der Moment da, an dem sich das Ganze am Markt durchsetzen muss. Das wird aber mit Sicherheit kommen. Man braucht allerdings einen langen Atem.
Thomas Rosenau forscht und unterrichtet an der Universität für Bodenkultur Wien zu Holzfaserchemie, Chemie und Nachhaltigkeit. Er hat einen großen Beitrag zur Grundlagenforschung im Hinblick auf den Lyocell-Prozess, Celluloselösungen und Fasermaterialien geleistet. Sein Institut war 2019 der Gewinner der internationalen “Green Chemistry Challenge” der Royal Society of Chemistry.
Foto: Antje Potthast
Transparenzhinweis: Thomas Rosenau kennt Christian Schimper von der Uni. Letzterer hat am selben Institut bei Rosenaus Mitarbeiter Falk Lieber promoviert. Rosenau hat Schimper über die Jahre fachlich beraten und unterstützt – weil es sich um sein “Expertisegebiet” handelte und “selbstverständlich unentgeltlich und ohne irgendeine Entschädigung”, wie er Inspektorin Grün versicherte.