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VIENNA TEXTILE LAB: Wir lassen Bakterien statt synthetischer Farbstoffe Textilien färben

VIENNA TEXTILE LAB: Wir lassen Bakterien statt synthetischer Farbstoffe Textilien färben

Karin Fleck hat an der TU Wien Technische Chemie studiert und war jahrelang in der Energiewirtschaft tätig. 2017 macht sie eine Freundin aus Amsterdam mit dem Färben mit Bakterien vertraut, 2020 gründet sie das Vienna Textile Lab. Sie will die Modeindustrie mit natürlichen Farbstoffen umweltfreundlicher machen.

  • Name: Vienna Textile Lab
  • Gründungsjahr: 2020
  • Problem: Wasserverschmutzung, CO2-Ausstoß, Gesundheitsrisiken für Arbeiter:innen und Anrainer durch das Färben von Textilien
  • Lösung: Bakterienbasierte Textilfarbe
  • Website: https://www.viennatextilelab.at/
Welches Problem will Vienna Textile Lab lösen?

Fleck: Die Textilindustrie ist einer der größten Verschmutzer der Flüsse und Seen weltweit – laut einem EU-Bericht sind 20 Prozent des verunreinigten Trinkwassers durch die Textilbranche verursacht. Das Färben von Textilien ist energieintensiv, dabei entsteht CO2. Textilarbeiter:innen erkranken überdurchschnittlich oft an Krebs – und auch die Gesundheit der Menschen, die im Umkreis von Textilfabriken leben, leidet.

Und wie will Vienna Textile Lab dieses Problem lösen?

Fleck: Die Biologie hilft, herkömmliche chemische Systeme zu ersetzen. Wir erleben momentan eine Art Renaissance der Biofarbstoffe. Naturfärbereien wurden mit der Entdeckung synthetischer Farbstoffe recht schnell geschlossen.  Wir wollen Naturstoffe nun wiederbeleben. Wir erzeugen aus Mikroorganismen natürliche Farbstoffe, die bei weitem nicht so umweltschädlich sind wie synthetische Farben. Unsere Bakterien kommen aus der Natur. Wir kooperieren mit dem Bakteriographen Erich Schopf – wir nennen ihn „Bakterienjäger“ (lacht) – der über 20 Jahre einen riesigen Schatz unterschiedlicher, intensiv färbender Bakterien angesammelt hat. Wir versuchen dann, diese Mikroorganismen besser zu ergründen. Und stellen uns viele Fragen: Welche färben schon von alleine, welche muss man erst dazu „überreden“? Wie können wir die Farbproduktion der Mikroorganismen im Labor noch optimieren? Wenn wir den reinen Farbstoff extrahieren können, müssen wir ergründen, wie sich dieser auf unterschiedlichen Textilien und Stoffen verhält. Der Fertigungsprozess ändert sich durch die bakterienbasierte Farbe an sich nicht, im Gebrauch hat auf Bakterien basierende Farbe ähnliche Eigenschaften wie synthetische Farbe.

Was ist dabei momentan die größte Herausforderung?

Fleck: Bakterien und Pilze sind Lebewesen mit Persönlichkeiten. Wenn man mit Biologie arbeitet, ist man häufiger mit Überraschungen konfrontiert: Welcher Mikroorganismus welche Farbe erzeugt, muss man etwa selbst herausfinden. Eine Probe kann außerdem unrein sein, weiters können Bakterien mutieren. Manchmal sind bestimmte Farbstoffe schlussendlich doch nicht geeignet zum Färben von Textilien. Eine weitere Herausforderung ist es, konsistente Farbtöne mit Gemischen herzustellen. Ich beobachte allerdings, dass sich die Einstellung in der Branche ändert. Standards wie Reproduzierbarkeit oder Farbechtheit werden hinterfragt. Wer nachhaltig produzieren will, muss von diesen Standards ein wenig abrücken.

Wem soll eure Lösung helfen?

Fleck: Die Textilindustrie sucht händeringend nach Alternativen – viele setzen beim Färbeprozess an. Immer mehr Färbehäuser beginnen umzurüsten und ihren Färbeprozess zu verbessern. Die Mode- und Textilindustrie ist unter Druck, ihre Lieferketten nachhaltiger zu gestalten. Kunden aus der Textilbranche kommen mit unterschiedlichen Anforderungen zu uns. Manchen geht es darum, nicht genetisch modifiziertes Material zu verwenden, andere zielen darauf ab, dass ihr Endprodukt schneller abbaubar ist. Wir sehen uns als “Enabler” für all diese unterschiedlichen Nachhaltigkeitsziele. Wir sprechen aber nicht nur die großen Player in der Textilindustrie an, sondern auch Designer und Künstler. Kürzlich konnte man im Ars Electronica in Linz Textilien einer Designerin sehen, die mit mikrobiellen Farben gefärbt waren, die in Kooperation mit dem Institut für Polymerwissenschaften der JKU Linz erzeugt wurden. 

Was möchte Vienna Textile Lab in fünf Jahren erreicht haben?

Fleck: Ich möchte unsere Herstellungsmethode auf Industrie-Niveau gebracht haben, mit dem ersten Farbstoff kommerziell am Markt sein und enge Kooperationen mit festen Partnern in der Textilbranche etabliert haben.

Expert:innenmeinung

Herr Prof. Rosenau, wo sehen Sie das Potenzial dieser Idee? Kann das funktionieren?

Das Potenzial sehe ich vor allem in der Umweltverträglichkeit. Die Textilindustrie ist extrem konservativ und innovationsfeindlich. Jahrzehntelang wurde alles, was giftig und schädlich war, nach Bangladesch ausgelagert – ganz nach dem Prinzip „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Wenn jetzt eine Firma wie Vienna Textile Lab mit so viel Enthusiasmus und Mut, verkrustete Strukturen anzugehen, eine innovative Lösung für das Färben von Textilien anbietet, dann ist das natürlich nur zu begrüßen. Jetzt ist die richtige Zeit, die großen Player der Industrie fangen an, über den Tellerrand zu blicken. Der große Vorteil bei der Arbeit mit Bakterien ist: Es entstehen dabei keine giftigen Stoffe, die Bakterien übernehmen den „Produktionsprozess“ mit ihrem Organismus. Eine große Herausforderung sehe ich allerdings in dem Umstand, dass sich bakterienbasierte Textilfarbe schwer skalieren lässt. Farbstoffe fallen oft als Stoffwechsel-Nebenprodukte an, der Output ist also massemäßig eher gering.

Thomas Rosenau forscht und unterrichtet an der Universität für Bodenkultur Wien zu Holzfaserchemie, Chemie und Nachhaltigkeit. Er hat einen großen Beitrag zur Grundlagenforschung im Hinblick auf den Lyocell-Prozess, Celluloselösungen und Fasermaterialien geleistet. Sein Institut war 2019 der Gewinner der internationalen “Green Chemistry Challenge” der Royal Society of Chemistry.

Foto: Antje Potthast

Transparenzhinweis: Thomas Rosenau kennt Karin Fleck von  Konferenzen und Gesprächen. Er hat sie über die Jahre fachlich beraten und unterstützt – weil es sich um sein “Expertisegebiet” handelte und “selbstverständlich unentgeltlich und ohne irgendeine Entschädigung”, wie er Inspektorin Grün versicherte.

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