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Warum ist Greenwashing ein Problem, Kathrin Hartmann?

Warum ist Greenwashing ein Problem, Kathrin Hartmann?

Warum ist Greenwashing ein Problem und welche Rolle spielen wir darin als Gesellschaft? Kathrin Hartmann ist deutsche Journalistin und Expertin zum Thema Greenwashing. Im Gespräch mit Inspektorin Grün erzählt sie, was wirklich hinter Greenwashing steckt und was wir gegen die Marketingstrategie tun können.   

Frau Hartmann, Sie schreiben in Ihrem Buch: “Alles, was einmal als schädlich und schändlich galt, dient heute der Weltrettung.” Was meinen Sie damit?

Es ist Greenwashing, wenn man versucht, Produkten und Dienstleistungen ein grünes Image zu geben, obwohl die Öffentlichkeit ganz genau weiß, dass sie für Umweltzerstörung, Klimaschäden oder Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Damit sagt man: Wir machen das ganz Schlechte jetzt richtig gut.

Welche Methoden wenden Unternehmen beim Greenwashing an?

Greenwashing hat bereits in den 70er Jahren angefangen. Energie- und Autokonzerne haben zum Beispiel mit schönen Naturbildern geworben. Eine weitere Methode ist, sich Zertifizierungs-Initiativen anzuschließen, die aber nicht halten was sie versprechen. Die gibt es mittlerweile für fast alle hochproblematischen Rohstoffe, die strukturell mit Waldvernichtung und Menschenrechtsverletzungen in Verbindung stehen – also Palmöl, Soja und Holz. Dann gibt es noch die Möglichkeit, irgendwelche Ökoprojekte zu machen, die gar nichts mit dem Kernprodukt des Unternehmens zu tun haben. Letztlich läuft Greenwashing immer darauf hinaus, Wege zu suchen, das Kerngeschäft, das für viele Schäden verantwortlich ist, beizubehalten und seinen Ruf nicht zu verlieren. 

Kathrin Hartmann ist eine deutsche Journalistin und hat mehrere Bücher zum Thema Greenwashing geschrieben. Dafür hat sie weltweit recherchiert. Gemeinsam mit dem Filmemacher Werner Boote drehte sie die Dokumentation „The Green Lie“.

Foto: Stephanie Füssenich

An wen richtet sich das Greenwashing von Unternehmen?

Greenwashing soll eine Zielgruppe ansprechen, die sich für Ökologie und Nachhaltigkeit, aber eher nicht für Massenprodukte interessiert. Viele Studien belegen, dass gerade Besserverdienende ein hohes Umweltbewusstsein haben, aber auch einen sehr aufwendigen, konsumorientierten und umweltschädlichen Lebensstil. Es sind gerade sie, die anfällig für Greenwashing sind. 

Greenwashing soll aber auch nach innen wirken. Kein Mensch möchte in einer Firma arbeiten, die für den Tod von Babys verantwortlich ist, wie das zum Beispiel Nestlè seit vielen Jahren vorgeworfen wird (weil sie Babymilchpulver im globalen Süden vermarkten und Frauen dort vom Stillen abbringen). Greenwashing signalisiert den eigenen Beschäftigten: Wir sind Teil der Lösung und nicht das Problem. 

Ein Zitat aus Ihrem Film “The Green Lie” lautet: “Je problematischer ein Produkt ist, desto stärker ist das Greenwashing.” Wie funktioniert das? 

Schauen wir uns das anhand eines Beispiels an. Palmöl ist ein hochproblematischer Rohstoff, der in jedem zweiten Supermarktprodukt steckt. NGOs und Medien haben schon viel über die Schäden berichtet, die beim Anbau entstehen. Seit Jahre gibt es aber den „Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl (RPO)“, der ein Siegel verleiht. Das Siegel vermittelt den Konsument:innen, dass sie weitermachen können wie bisher. Nach dem Motto: Alles ist gut, weil Palmöl jetzt zertifiziert ist. Man kann niemandem einen Vorwurf machen, der das glaubt. Nicht jeder kann wie ich nach Indonesien fahren und auf Palmölplantagen recherchieren. Indem sich die EU beim Import von Palmöl auf solche Zertifizierungen verlässt, legitimiert auch sie Greenwashing.

Wie hat sich unser Bewusstsein als Gesellschaft für das Thema Greenwashing verändert?

Ich beschäftige mich seit 13 Jahren mit diesem Thema und habe festgestellt, dass es große gesellschaftliche Entwicklung gegeben hat. Die Gesellschaft ist sehr viel kritischer geworden. Das Gefälle zwischen grünen Versprechen und Realität ist einfach sehr vielen Menschen bewusst geworden, weil mehr Wissen von NGOs und Medien generiert wurde. Auch die Vorstellung, dass Konsument:innen einfach nur richtig einkaufen müssen, ändert sich gerade total. Es ja geht niemand in den Laden und sagt, er hätte gerne ein 1-Euro T-Shirt, das von Kindern produziert wurde. Das Märchen, dass wir schuld sind, weil wir alles so billig wollen, glauben immer weniger. 

Das ist eine Art ökologisch-soziales Stockholmsyndrom.

Was passiert psychisch mit uns beim Thema Greenwashing?

Greenwashing ist im Prinzip wie Werbung. Attraktiv daran ist, dass der Gegensatz zwischen umweltschädlich und nachhaltig scheinbar überbrückt wird. Firmen nutzen das, indem sie den Kund:innen bescheinigen: Ihr seid schlau! Ihr wählt unser Produkt, weil wir die Guten sind! Das verfängt total, weil es vermittelt, dass wir unser Konsumlevel halten und trotzdem etwas Gutes tun können. Das ist eine Art ökologisch-soziales Stockholmsyndrom. Durch die Corona-Pandemie haben wir aber gesehen, wie vulnerabel dieses kapitalistische System ist. Daraus resultiert möglicherweise auch die große Zustimmung zum Lieferkettengesetz in Deutschland. 

Warum wird das deutsche Lieferkettengesetz Greenwashing erschweren?

Unternehmen können nicht mehr wegschauen, auch wenn sie nur für ihre direkten Zulieferer verantwortlich sind. Wenn es Medienberichte über Verletzungen am Ende der Lieferkette gibt, dann muss das Unternehmen aktiv werden. Eine staatliche Behörde soll das Ganze überprüfen. Eine Gewerkschaft oder eine NGO kann auch im Interesse der vor Ort Betroffenen vor einem deutschen Gericht klagen und das ist ein großer Fortschritt. Aber das Lieferkettengesetz hat große Lücken, die es nicht so stark machen, wie es sein könnte. Zuerst werden Unternehmen mit 3000 Mitarbeitern, dann mit 1000 Mitarbeitern erfasst. Es gibt aber auch kleine Unternehmen, die problematische Lieferketten haben.

Warum das Spiel mit der Klimaneutralität ein gefährliches ist, könnt ihr in diesem Artikel nachlesen. 
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