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Akte Wollke: Bluten wie die Guten?

Akte Wollke: Bluten wie die Guten?

Die niederösterreichische Firma “Wollke” verkauft nachhaltige Menstruationsartikel. Das Unternehmen macht vieles richtig, doch einige Angaben können in die Irre führen. 

Es gibt einen Ort, der bei vielen Konsument:innen noch unter dem Nachhaltigkeits-Radar liegt: der Bereich zwischen den Beinen. Die Hälfte der Bevölkerung nimmt dort im Schnitt fünf Tage pro Monat Gifte auf – und das über einen Zeitraum von 40 Jahren. Denn ganz normale Menstruationsprodukte sind häufig aus Plastik, chemisch aufbereitet und mit Duftstoffen oder gar Pflanzenschutzmitteln versetzt. Alles ganz legal, alles ganz schön schädlich. 

Diverse Unternehmen bieten seit einigen Jahren nachhaltige Alternativen an. Darunter auch Wollke aus dem niederösterreichischen Lunz am See. Die Firma verspricht Produkte, die einen “Beitrag zur Frauengesundheit” leisten und außerdem “ökologisch und nachhaltig” sowie “fair und sozial” produziert sind. Aber was heißt das genau? Und stimmt das auch? Inspektorin Grün hat ihre Lupe ausgepackt. 

Behauptung 1

“Nie wieder Plastik, Chemie, Allergie auslösende Duftstoffe, Glyphosat, Dioxin Formaldehyd oder anderen Chemikalien zwischen den Beinen”

In der Regel schadstofffrei?

So bewirbt Wollke seine Slipeinlagen und Binden und scheint dabei durchaus einen Nerv getroffen zu haben. Denn gefährliche Stoffe in Menstruationsprodukten sind ein unterschätztes Thema. US-Wissenschaftler:innen wiesen im März 2020 fortpflanzungsschädliche Stoffe in herkömmlichen Tampons und Binden nach. Der deutsche Öko-Test kam im selben Jahr zu ähnlichen Erkenntnissen: In 14 von 25 untersuchten Binden und vier von 23 getesteten Slipeinlagen fanden sie sogenannte Umwelthormone. Diese können mitunter chronische Erkrankungen verursachen und krebserregend sein. 

Wollke will es besser machen und setzt auf Produkte, die frei von Chemikalien, Duftstoffen und Weichmachern sind. Doch wer kontrolliert diese Versprechen? Unter anderem das Label OEKO-TEX. Wollke ist mit dem “Standard 100” ausgezeichnet. Alle Produktbestandteile werden regelmäßig von einem unabhängigen Institut auf ihre Verträglichkeit hin geprüft. OEKO-TEX ist ein weit verbreitetes Gütesiegel. Es untersucht Schadstoffrückstände im Endprodukt, bezieht sich jedoch nicht auf die Produktherstellung oder den Umweltschutz. Das Siegel prüft die Ware auf unter anderem zehn der elf wichtigsten Chemikaliengruppen. Grundsätzlich schneiden Wollke-Binden in puncto Gesundheit also besser ab als “normale” Periodenprodukte. 

Gynäkologin Evelin Klingler warnt dennoch: “Auch wiederverwendbare Produkte wie die Wollke sind nicht automatisch unbedenklich.” Sie bezieht sich auf die notwendige Hygiene von wiederverwendbaren Artikeln: Die Produkte müssen auf jeden Fall regelmäßig ausgekocht (sprich bei 60 Grad gewaschen) und alle vier bis sechs Stunden gewechselt werden. Denn bei Wärme und Feuchtigkeit fühlen sich Bakterien besonders wohl.

Behauptung 2

Die Produkte leisten einen “aktiven Beitrag zum Klimaschutz”

Die wiederverwendbare Alternative für den Klimaschutz?

Das Unternehmen ist als einzige Textilfirma überhaupt mit dem österreichischen Umweltzeichen ausgezeichnet und garantiert so laut Zertifikat hohe Umweltstandards im gesamten Herstellungsprozess. Der 77-Seiten-langen Anforderungskatalog des Umweltzeichens umfasst unter anderem die Vorgabe, dass die Textilfasern aus kontrolliertem biologischem Anbau stammen müssen und nicht mit konventionellen Fasern vermischt werden dürfen. 

Doch wer stellt dies sicher? Inspektorin Grün hat nachgefragt. Laut Umweltzeichen prüft ein:e unabhängige:r Prüfer:in aus einem frei akkreditierten Expert:innenpool die Angaben des Unternehmens. Später wird das Gutachten vom Verein für Konsumenteninformation erneut geprüft und dann dem Bundesministerium für Klimaschutz weitergereicht. 

Wiederverwendbar sind die Produkte durch das waschbare Material auf jeden Fall. Eine Binde ersetzt laut Angaben der Wollke rund 300 Wegwerfprodukte. Empfohlen wird das Mitwaschen mit der restlichen Wäsche bei 40 bis 60 Grad, ohne Weichspüler und andere Zusätze. 

Die Baumwolle bezieht Wollke aus der Türkei – laut Wollke-CEO Sabine Fallmann-Hauser “das Näheste was es an Bio-Baumwolle gibt”. Tatsächlich schneidet die Türkei in dieser Hinsicht besser ab als andere große Bio-Baumwollproduzenten wie die USA, China, Brasilien oder Indien.

Trotzdem kann der Hinweis “in Österreich produziert (keine Importe aus China, etc.)” irreführend wirken. LKWs bringen den Stoff schließlich nach Österreich. Auch wenn Wollke auf den Transport durch Flugzeuge oder Schiffe verzichtet, besteht hier also Potential zur CO2-Reduktion.

Ein Schwachpunkt ist der Kletter mit dem die Binden in der Unterwäsche befestigt werden. Er besteht aus Kunststoff, kann jedoch abgetrennt und fachgerecht entsorgt werden. Wollke ist sich dessen bewusst und arbeitet laut eigener Aussage an einer Lösung. Zudem ist man Kooperationspartner der Zero-Waste-Initiative, die Produkte können somit auch verpackungsfrei bezogen werden. 

Behauptung 3

“Ökologische und soziale Produktion unter Beachtung von fairen Arbeitsbedingungen und Löhnen” und das “in jeder Phase des Herstellungsprozesses”

Blut und Baumwolle: Unklare Arbeitsbedingungen

Die Basis einer jeden Wollke-Binde ist 100% kbA-Baumwolle. Dieses Zertifikat soll laut Wollke auch “soziale Mindeststandards” sicherstellen. “KbA” steht für “kontrollierter biologischer Anbau” und ist eine rechtlich geschützte Bezeichnung für Bio-Produkte. Das Bio-Zertifikat garantiert aber ausschließlich den ökologischen Anbau der Faser und keine bindenden Mindeststandards für Arbeitsbedingungen. Auch wenn Bio-Baumwolle im Hinblick auf sozial angemessene Produktion oft besser abschneidet als herkömmliche. 

Sieht man sich alle von Wollke angegebenen Siegel und Zertifikate an, fällt auf: Keines garantiert soziale Mindeststandards über den gesamten Produktionsprozess. Der “Öko-Tex Standard 100” konzentriert sich in erster Linie auf Schadstoffe und umfasst – im Gegensatz zum Made-in-Green Standard – keine sozialen Kriterien. Das Umweltzeichen bestätigte uns auf Nachfrage, dass die Arbeitsbedingungen lediglich in der Endfertigung der Produkte eine Rolle spielen. Firmenchefin Sabine Fallman-Hauser gibt an, dass man sich mit dem Hersteller in der Türkei “intensiv auseinandergesetzt” und soziale Aspekte als Kriterium berücksichtigt habe. Unter welchen Bedingungen genau die Bio-Baumwolle in der Türkei erzeugt wird, bleibt dennoch unklar. 

Gefertigt werden die Binden schließlich in der Geschützten Werkstätte St. Pölten – einem Betrieb mit 500 Angestellten, der Menschen mit Behinderung beschäftigt. Die an der Wollke-Produktion beteiligten Näherinnen erhalten laut Fallmann-Hauser den Schneider:innen-Kollektivvertrag und haben dadurch Anspruch auf Arbeitslosengeld und Pensionsversicherung. Es sei keine “Beschäftigungstherapie” von geistig beeinträchtigten Arbeiter:innen. 

Mehrmals versuchte Inspektorin Grün, die Geschützte Werkstätte St. Pölten in dieser Sache zu kontaktieren. Unsere Anfragen blieben aber bis zuletzt unbeantwortet. Kenner:innen der Branche konnten uns zumindest glaubhaft versichern, dass es nicht unüblich sei, in Betrieben dieser Art nach Kollektivvertrag zu entlohnen. 

Dem AMS zufolge bekommt eine Näher:in, die in den Beruf einsteigt, laut Kollektivverträgen ungefähr 1.500 Euro brutto Mindestgehalt im Monat. 

Fazit

Wollke ist bemüht, eine ökologische und gesunde Alternative im Bereich Menstruationsartikel anzubieten. In vielerlei Hinsicht gelingt das dem Unternehmen auch. Luft nach oben bleibt trotzdem, dessen ist sich Gründerin Sabine Fallmann-Hauser auch bewusst.
Nachschärfen muss Wollke bei ungenauen Formulierungen auf der Website. Potentiell irreführende oder nicht belegbare Versprechen sind nicht vertrauenerweckend. 

Pros

  • Wiederverwendbar und auch verpackungsfrei beziehbar
  • Alternative zu herkömmlichen Menstruationsprodukten
  • Aus biologischem Anbau
  • Schadstoffanteil durch unabhängige Institute geprüft
  • Überprüfung durch Expert:innen im Rahmen des Umweltzeichens

Cons

  • Kletter aus Kunststoff
  • Transport durch LKWs
  • Irreführende Informationen auf Website 
  • Soziale Mindeststandards werden von angegebenen Labels nicht explizit eingefordert
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