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Was sind CO2-Zertifikate? Alles, was du über dieses sperrige Thema wissen solltest

Was sind CO2-Zertifikate? Alles, was du über dieses sperrige Thema wissen solltest

Was sind CO2-Zertifikate? Wie funktionieren sie? Wie viel kosten sie? Was sagen Kritiker:innen und in welchen Fällen sind sie sinnvoll? Die fünf wichtigsten Fragen – und ihre Antworten.

1. Was sind CO2-Zertifikate?

CO2-Zertifikate sind Instrumente, um Treibhausgas-Emissionen zu bewirtschaften – mit dem Ziel, diese zu reduzieren. Unternehmen können sich freiwillig dazu entscheiden oder werden gesetzlich dazu verpflichtet. 

Freiwillige Klimakompensation

Durch den Kauf von CO2-Zertifikaten gleichen Unternehmen ihre Klimasünden aus und können sich so als “klimaneutral” vermarkten. Das Geld, das sie für die Zertifikate zahlen, fließt oft in Projekte, in deren Rahmen CO2 reduziert wird. Dabei entspricht ein Zertifikat einer Tonne CO2.  Solche projektgebundenen Zertifikate verfallen mit dem Kauf, sie werden “stillgelegt” und können deshalb nicht gehandelt werden. 

Gesetzlich verpflichtend

Anders ist das im zweiten Szenario: Große Emittenten sind dazu verpflichtet, CO2-Zertifikate zu kaufen. Alle großen Strom- und Wärmeproduzenten und Industrieanlagen wie Stahlwerke, Raffinerien oder Zementwerke sind von der Regelung betroffen. Europaweit sind es laut Europäischer Umweltagentur mehr als 15.000, zitierte die Wiener Zeitung, in Österreich um die 200. Als Top-3-Unternehmen mit den meisten CO2-Emissionen in Österreich 2019 listet dieser Artikel Voestalpine (12,3 Millionen Tonnen), OMV (3,0) und Wien Energie (2,5).

Was ist Emissionshandel?

CO2-Zertifikate werden in diesem Fall wie Wertpapiere EU-weit gehandelt, man spricht von “Emissionshandel”. EU-Mitgliedsländer verfügen je nach Größe über ein bestimmtes Kontingent an Zertifikaten, die sie an ihre Unternehmen vergeben können – sie tun das teilweise kostenlos, teilweise über Versteigerungen. Ein Zertifikat ist in dem Fall ein Emissionsrecht. Stößt ein Unternehmen mehr CO2 aus, als ihm durch seine durch die CO2-Zertifikate erworbenen Rechte zusteht, muss es Strafen zahlen oder zusätzliche Zertifikate kaufen. Durch Angebot und Nachfrage entsteht ein Preis für die Emissionsrechte. Kürzlich stieg dieser erstmals auf mehr als 50 Euro pro Tonne, die Wirtschaftswoche berichtete.

2. Wie funktionieren CO2-Zertifikate?

Zurück zum freiwilligen Kauf projektbezogener CO2-Zertifikate. Deren Funktion basiert auf der Annahme, dass es egal ist, wo CO2 anfällt und wo es kompensiert wird. Ein Unternehmen kann also in Österreich die Luft verpesten und in Afrika dafür Bäume pflanzen. Das selbst zu organisieren, ist ziemlich aufwendig und irgendwer muss die Klimakompensation bestätigen, wenn Unternehmen damit werben möchten. Deswegen haben sich Firmen gefunden, die einem das abnehmen. Sie investieren zum Beispiel in Konzerne, die aufforsten, und sind berechtigt, für die CO2-Speicherung im Holz Bestätigungen (=Zertifikate) auszustellen. Dabei muss sichergestellt werden, dass das Projekt ohne die Einnahmen aus den CO2-Zertifikaten nicht zustande gekommen wäre.

Laut dem deutschen Umweltbundesamt werden die meisten CO2-Zertifikate für Projekte im Bereich erneuerbarer Energien vergeben, nämlich 34 Prozent. 19 Prozent gehen an Projekte für bessere Energieeffizienz, 34 Prozent an Projekte im Bereich Land, Wälder und Forstwirtschaft.

Ein Beispiel: Der österreichische Eistee-Hersteller Hakuma hat CO2-Zertifikate für ein Solarkraft-Projekt in Indien gekauft. Durch das Projekt wird der Anteil erneuerbarer Energien im indischen Netzmix erhöht und CO2 eingespart. Insgesamt hat das Unternehmen 440 Zertifikate gekauft. Solange es weniger als 440 Tonnen CO2 ausstößt, kann sich Hakuma “klimapositiv” nennen. Ist dieses Versprechen zu grün, um wahr zu sein? Inspektorin Grün hat Hakumas grüne Versprechen unter die Lupe genommen.

3. Wie viel kostet Klimakompensation?

Nimmt ein Unternehmen am Emissionshandel teil, richtet sich der Preis nach Angebot und Nachfrage – derzeit sind es mehr als 50 Euro pro Tonne. Projektgebundene CO2-Zertifikate hingegen sind nicht nur einfach zu bekommen, sondern für Unternehmen immer noch sehr günstig. 

Ein Beispiel: Hakuma hat 2018 nur zwei bis drei Euro pro CO2-Zertifikat gezahlt. Wie viel eine Tonne CO2 kostet, ist je nach unterstütztem Wiedergutmachungs-Projekt ganz unterschiedlich. Ein Dokument des deutschen Umweltbundesamts listet Einflussfaktoren auf: 

  • Qualität und Größe des Klimaschutz-Projekts
  • Alter der Zertifikate
  • Nachfrage nach Projekttypen und Standorten
  • Volumen, das gekauft wird

Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb von der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) bemängelt im Gespräch mit Inspektorin Grün: Der Preis für eine Tonne CO2 sei viel zu niedrig, um die Unternehmen dazu zu bringen, langfristig wirksame Maßnahmen zu setzen. 

4. Kritik: Gekaufte Nachhaltigkeit?

Generell ist Klimakompensation umstritten, gilt sie vielen doch als moderner Ablasshandel, der nicht nur Unternehmen, sondern auch den Endkonsument:innen ein reines Gewissen bescheren soll. “Den Handel mit den CO2-Zertifikaten mit Ablasshandel zu vergleichen, ist nicht falsch”, bestätigt Klimaforscherin Kromp-Kolb. Das Problem: CO2-Zertifikate gleichen zwar aus, machen Emissionen aber nicht rückgängig. Sie dürfen deshalb nicht als Lizenz zu umweltschädlichem Handeln gesehen werden. 

Kritisch sollte man auch die Kompensationsprojekte unter die Lupe nehmen: “Die meisten davon haben Haken. Selbst wenn sie hohe internationale Standards haben, ist die Kompensation zweifelhaft”, meint Kromp-Kolb. Es ist oft unklar, wie nachhaltig die Projekte tatsächlich sind. 

Damit meint sie vor allem solche Projekte, die mit dem Geld vorwiegend Bäume pflanzen. “Oft werden große Flächen gekauft und bewaldet und das war’s dann, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung.” Manche Flächen werden sogar extra dafür gerodet. Bis die frisch gepflanzten Bäume eine nennenswerte Menge CO2 binden können, vergehen zumindest zehn bis zwölf Jahre. Niemand garantiert, dass die Bäume erhalten bleiben und in Zukunft nicht gefällt werden. “Eigentlich müssten die Projekte rundum nachhaltig sein – also sozial, ökologisch und ökonomisch. Aber das ist teuer und zeitaufwändig”, sagt Kromp-Kolb. 

5.  Wann machen CO2-Zertifikate Sinn?

Dennoch kann die Klimakompensation durch CO2-Zertifikate unter bestimmten Bedingungen nützlich sein, so die Expertin. “Es gibt Sünden im CO2-Bereich, die man als Unternehmen machen muss. Es gibt zum Beispiel noch keine Möglichkeit, manche Produkte auf eine CO2-neutrale Art zu transportieren. Insofern macht Kompensation schon Sinn – dort, wo es nicht anders geht. Kompensation durch CO2-Zertifikate ist eine Übergangslösung.”

Eine CO2-Steuer fände Helga Kromp-Kolb wesentlich besser als die Kompensation durch CO2-Zertifikate. Der Vorteil: Der Staat könnte genau kontrollieren und “steuern”, was mit diesem Geld passiert. Das müsste er dann aber auch für Umweltausgaben verwenden, betont die Expertin, und nicht für “das Stopfen von anderen Budgetlöchern”. Fest stehe: Der Preis pro Tonne CO2 bei bereits vorhandener Besteuerung in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Frankreich, ist zu niedrig. 120 Euro wäre das Minimum, das man pro Tonne verlangen müsse. Außerdem müsse der Preis mit der Zeit steigen.

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